Rede zu Ghetto-Renten

Am 26.2.2015 wurde im Parlament der Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Dezember 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind (Ghetto-Rente) beraten.

Hier finden Sie meine Rede zum Anhören und Nachlesen.

Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär Bucior! Meine Damen und Herren!

Es ist heute ein guter Tag, weil wir einstimmig im Bundestag endlich zu Ende bringen, was wir 2002 mit dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Ghettorenten begonnen haben. Dass es 13 Jahre gedauert hat, ist bitter, aber wir hoffen, dass wir noch viele von denen erreichen, die nach unserem Willen einen Anspruch auf eine Rente für ihre Zwangsarbeit im Ghetto haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich erinnere an das Ghettorentengesetz und an die Vorgänge, die dahin geführt haben – Sie haben die Verdienste von Richter von Renesse hier mit angesprochen –, an den Kampf darum, den gesetzgeberischen Willen durchzusetzen. Es ging darum, anzuerkennen, dass im Ghetto natürlich nicht normale Arbeitsbedingungen mit Arbeitsvertrag, Lohn und Gehalt sowie Rentenversicherungsbeiträgen gegeben waren. Wir sprechen hier von einer Notsituation, in der die Menschen, die im Ghetto gelebt haben, ihre Arbeitskraft verkaufen mussten, damit sie eine Scheibe Brot mehr bekamen oder damit der Judenrat im Ghetto mehr Geld bekam, um damit zu versuchen, die Menschen irgendwie über die Runden zu bringen. Dass da deutsche Sozialgerichte immer wieder gegen den Willen des Gesetzgebers griffelspitzerisch versucht haben, den Menschen Hürden auf den Weg zur Erfüllung ihres Anspruchs zu legen, gehört auch zu den bitteren Wahrheiten dieses Tages.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dass das Bundessozialgericht gesagt hat: „Vier Jahre rückwirkend bekommen die Leute ihr Geld“, obwohl die Rechtsprechung damals korrigiert wurde, war auch ein bitterer Umstand. Ich bin froh, dass diese Bundesregierung durch den Einsatz der Sozialdemokratie es geschafft hat – anders als die Vorgängerregierung –, diese Unwuchten aus dem Gesetz herauszubringen. Dass wir das heute mit der Öffnung des Leistungsbezugs auch für die polnischen Ghettorentner, also für die Menschen, die heute noch in Polen leben und davon betroffen sind, endlich abschließen, ist ein gutes Signal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist auch eine gute Erfahrung für das Haus, dass wir das heute gemeinsam, alle vier Fraktionen, beschließen können. Hervorzuheben ist, das wir alle anerkennen, dass wir alle gemeinsam in der Vergangenheit Fehler gemacht haben: bei der Entschädigung, bei der Anerkennung von NS-Unrecht. Es war über die Jahrzehnte hinweg in der bundesdeutschen Geschichte und erst recht in der Geschichte der DDR ein schwieriger Prozess, sich dem Ausmaß des Unrechts, das von Deutschen ausgegangen ist, wirklich zu stellen, es anzuerkennen und zu versuchen, den Opfern wenigstens einen Ausgleich zu geben.

Ich möchte an so einem Tag sagen, dass wir da noch eine weitere offene Frage vor uns haben. Ich würde mir wünschen, dass wir dazu zwischen den Fraktionen ins Gespräch kommen. Dabei geht es um die sowjetischen Kriegsgefangenen. 3 Millionen von ihnen wurden in Russenlagern umgebracht. Keiner der sowjetischen Kriegsgefangenen hat je einen Cent von Deutschland gesehen. Es geht um eine Geste. Ich will gar nicht von Entschädigung und von den Fragen des Reparationsrechts reden. Es geht um eine Geste der Anerkennung, dass wir sagen: Das war nationalsozialistisches Unrecht. – Ich glaube, gerade im 70. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wäre es hohe Zeit, diese Frage endlich, und zwar gemeinsam, zu klären.

Lassen Sie uns hier einen Versuch machen. Es geht nicht um das Geld – es leben kaum noch Menschen, die das erhalten könnten –, es geht um die Geste und in diesem schwierigen Jahr mit der Auseinandersetzung um die Ukraine und um die Krim vielleicht auch darum, dass wir bei allen Differenzen, die wir mit der russischen Regierung haben, gemeinsam zu unserer historischen Verantwortung gegenüber allen Völkern Osteuropas, gegenüber den Völkern der ehemaligen Sowjetunion stehen. Es wäre schön, wenn wir mit dem „spirit“ des heutigen Tages weiterkommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Jetzt möchte ich die Sozialpolitiker explizit ansprechen – das vorher genannte Thema ist vielleicht etwas für die Außenpolitiker und die Innenpolitiker –: Es gibt ein spezifisch rentenrechtliches Problem, das auch mit unserer Geschichte zusammenhängt. Wir haben uns 1990 entschlossen, durch eine besondere Regelung Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wegen des dortigen Antisemitismus in Deutschland aufzunehmen. Diese Menschen, die mitten in ihrem Arbeitsleben nach Deutschland kamen, fangen mit ihrer Rentenbiografie in Deutschland bei null an: manche mit 60, mit 65 Jahren andere mit 20 Jahren; bei denen ist es kein Problem. Für Aussiedler haben wir im sogenannten Fremdrentengesetz die Regelung, dass wir die Arbeits- und Rentenbiografie dieser Menschen so anerkennen, als ob sie Zeit ihres Lebens in Deutschland gearbeitet hätten.

Ich bitte alle Fraktionen, ob wir ein Treffen der Sozialrechtler, vielleicht auch der Innenpolitiker machen können, bei dem wir uns der Frage annehmen, ob wir die jüdischen Kontingentflüchtlinge nicht in die Regelung des Fremdrentengesetzes einbeziehen können und sagen: Wir behandeln sie wie Spätaussiedler. – Der historische Zusammenhang ist ähnlich, das Schicksal ist ähnlich. Sie kommen aus Ländern, die ähnlich sind. Sie haben als jü- disches Volk das Deutsche Reich vor Jahrhunderten verlassen, wie die Russlanddeutschen auch. Sie haben es aus anderen Gründen verlassen; sie sind geflohen. Die anderen sind übergesiedelt. Aber es gibt viele Parallelen. Das ist Grund genug, sich dieser Frage interfraktionell zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


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