Kleine Anfrage ergibt: Mazedonien muss umgehend von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten genommen werden

Zu der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur menschenrechtlichen Lage in Mazedonien erklärt Volker Beck, Sprecher für Migrationspolitik:

„Mazedonien muss umgehend von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten genommen werden. Kritiker*innen des zunehmend autoritären Machtapparats sind ebenso wenig wie Lesben, Schwule und Trans* in Mazedonien generell und durchgängig sicher vor asylrelevanter Verfolgung. Sie sind Drohungen, Einschüchterungen und physischer Gewalt ausgesetzt, die teilweise von der Regierung ausgehen oder jedenfalls von der Regierung nicht wirksam verhindert werden. Gleiches gilt für Angehörige bestimmter ethnischer Minderheiten, insbesondere Roma, die zudem im Bildungs- und Gesundheitssektor nach wie vor erheblicher Diskriminierung ausgesetzt sind. Damit sind die Vorgaben des Grundgesetzes und der EU-Verfahrensrichtlinie an die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten nicht erfüllt.“

Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik, erklärt:

„Mazedonien ist kein sicherer Herkunftsstaat. Unsere Anfrage hat ergeben, dass Waisenkinder und Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen auch in staatlichen Einrichtungen nicht hinreichend vor sexueller Gewalt geschützt werden; ihre gesundheitliche Versorgung wird allenfalls mangelhaft gewährleistet. Menschenrechtliche Gewährleistungen dürfen nicht aus migrationspolitischen Erwägungen außer Acht gelassen werden. Damit tut man nicht nur marginalisierten Gruppen vor Ort Unrecht, sondern vereitelt auch das Ziel, Mazedonien in ein Europa der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des Friedens zu integrieren.“

Zum Hintergrund:

Drohungen und Einschüchterungen, insbesondere bei Anwendung körperlicher Gewalt, gegen Kritikerinnen und Kritiker der Machteliten, können im Ergebnis eine asylrelevante Menschenrechtsverletzung aufgrund der politischen Überzeugung darstellen (Antwort der Bundesregierung, S. 12). Gleiches gilt für massive Eingriffe in die Privatsphäre dieser Personen durch unrechtmäßige Telefonmitschnitte, die bislang nicht hinreichend aufgeklärt wurden (S. 13).

Übergriffe der Polizei gegen ethnische Minderheiten sind schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Akteure im flüchtlingsrechtlichen Sinne, auch wenn sie nicht „systematisch“ erfolgen (S. 4). Die Schulbesuchsquote bei Roma-Kindern (61 % in der Grundschule, 17% in der Sekundarschule) deutet auf eine mangelhafte Gewährleistung des Rechts auf Bildung hin, die bestimmte ethnische Minderheiten in besonderem Maße trifft. Dies vermag der Hinweis, dass in einer Kommune die Quote so hoch ist, dass in zwei Schichten unterrichtet werden muss, nicht zu entkräften, zumal der Schichtbetrieb auch Ausdruck dafür sein kann, dass der Staat keine ausreichenden Kapazitäten im Bildungsbereich bereitstellt (S. 17). Dass Roma darüber hinaus gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind, die entweder vom Staat ausgehen oder vom Staat jedenfalls nicht wirksam verhindert werden, und einen erschwerten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben, deutet in der Gesamtschau asylrechtlich nicht irrelevanten Menschenrechtsverletzungen hin (S. 19).

Die gewaltsame Auflösung von friedlichen Protesten der LGBTI*-Community durch Polizisten in Zivil (S. 22) und die mangelhafte Verfolgung von homophoben Straftaten (S. 23) deuten – auch vor dem Hintergrund des nach wie vor fehlenden Schutzes vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (S. 5) – darauf hin, dass Lesben, Schwule und Trans* nach wie vor nicht sicher vor Menschenrechtsverletzungen sind.

Da der Staat für Waisenkinder sowie für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen eine besondere Verantwortung trägt, kann der defizitäre Schutz vor sexueller Gewalt sowie die mangelhafte Gewährleistung von Hygiene und ärztlicher Versorgung im Ergebnis einer asylrelevanten Menschenrechtsverletzung aufgrund Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gleichkommen (S. 8 f.). Gleiches gilt für die mangelhafte Durchsetzung des Verbots kinderrechtswidriger Beschäftigung (S. 10).


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