Stellungnahme

20. September 2013

„Seit 17. September 2013 liegt mir – nach einem Hinweis von Dr. Klecha (Göttinger Institut für Demokratieforschung) – ein in den Archiven aufgetauchtes Dokument vor. Hierbei handelt es sich um einen Abzug des Typoskripts für meinen Gastbeitrag in Angelo Leopardis Buch „Der pädosexuelle Komplex“ (Förster Verlag, 1988). Der Abzug, wie er mir vom Archiv Grünes Gedächtnis zur Verfügung gestellt wurde, ist offenbar nicht ganz vollständig, da die letzte Seite fehlt. Meine Aussagen zu dem Text wurden von Manchen in Zweifel gezogen. Ich habe deshalb der Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau/Kölner Stadtanzeiger das Typoskript am 18. September zur Verfügung gestellt.

Ich bin froh, daß das Typoskript gefunden wurde. Es lag mir nicht mehr vor und war bislang nicht auffindbar, ich hatte keine genaue Erinnerung daran. Es bestätigt meine mehrfach geäußerte Annahme, dass der Text in der Buchveröffentlichung verändert wurde. Bereits in der Überschrift habe ich damals deutlich gemacht, daß ich den seiner Zeit noch allgemein in der Schwulenbewegung verbreiteten radikalen Forderungen widersprochen habe, wenn es heißt: „Reformistischer Aufbruch und Abschied von einer ‚radikalen‘ Forderung – Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der Sexual- (Strafrechts-) Politik.“ Der Herausgeber hat meine zentrale Aussage, nämlich den „Abschied von einer ‚radikalen‘ Forderung“ – Streichung des Sexualstrafrechts bzw. der §§ 174 und 176 StGB – wegredigiert. Diese Überschrift, die in der Szene als „reformistisch“, als Abgehen von radikalen Forderungen wahrgenommen worden wäre, passte erkennbar nicht ins Konzept des Herausgebers, war sie doch eine klare Absage an eine damals gängige Forderung in der Schwulenbewegung.

Das Typoskript bestätigt damit meine Erinnerung, dass der veröffentlichte Beitrag so nicht autorisiert war und im Sinn durch eine freie Redigierung in Überschriften und Textteilen durch den Herausgeber verfälscht wurde. Das Typoskript bestätigt ebenfalls auf beschämende Weise, wovon ich mich bereits mehrfach distanziert habe und was bereits in diversen Interviews vortrug, dass es eine vollkommen falsche Annahme war, dass man theoretisch zwischen gewaltlosen, angeblich „harmlosen“ Sexualkontakten mit Zustimmung und gewaltförmigen, schädlichen Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern unterscheiden könne. Von dieser falschen Grundannahme war der Text geprägt. Dafür entschuldige ich mich jetzt nach Vorliegen des Originalskripts nochmals aufrichtig und distanziere mich erneut. Ich habe meine Gedankengänge von damals wiederholt als „unsäglich“, abwegigen „Stuss“ und großen Fehler bezeichnet.

Ich habe in dem Artikel einerseits betont, es sei „nicht möglich die Schilderungen von Frauen über einen traumatisch erlebten sexuellen Kontakt mit einem Erwachsenen (meist innerhalb der Familie) einfach vom Tisch zu wischen“. Andererseits ist mein Gerede über eine Senkung des Schutzalters von 14 Jahren schon in seiner Grundannahme falsch gewesen und bleibt es auch. Bereits in der Vergangenheit hatte ich öffentlich ausdrücklich festgestellt, dass es ein schwerer Fehler war, aus dem ich auch Konsequenzen gezogen habe. Ich habe mich in den folgenden Jahren intensiv mit den Berichten von Vereinen wie Wildwasser oder Zartbitter über die Arbeit mit Opfern sexualisierter Gewalt bzw. sexuellen Missbrauchs auseinandergesetzt. Seitdem habe ich mit Liberalisierungsüberlegungen zum Sexualstrafrecht, die über die 1994 in Deutschland erfolgte Gleichstellung von Hetero- und Homosexualität (Streichung des § 175 StGB) hinausgehen, völlig gebrochen und bin Forderungen in diese Richtung immer entgegengetreten. Mein daraus resultierendes politisches Handeln gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie findet sich in verschiedenen parlamentarischen Initiativen.

Das ist auch nachweisbar in meinem Engagement für das Herausdrängen der Pädophilen aus der Partei DIE GRÜNEN und im Beschluss des Grünen Bundeshauptausschusses (Kleiner Parteitag) vom April 1989. Er lautete:

„Die Forderung nach einer Abschaffung des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches („Straftagen gegen sexuelle Selbstbestimmung“) oder eine Streichung der §§ 174 und 176 („Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ und „Sexueller Missbrauch von Kindern“), wie sie von Teilen der Schwulenbewegung diskutiert wird, ist für DIE GRÜNEN völlig inakzeptabel.“

Der Bundeshauptausschuss erteilte in dem Beschluss der neu gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik den Auftrag, diese Haltung der GRÜNEN in den bundesweiten Zusammenschlüssen der Schwulenbewegung zu vertreten.

In den Folgejahren schrieb ich zu diesem Prozess am 9.10.1993 in der taz – Die Tageszeitung:

„Gerade als schwulenbewegter Mann habe ich erlebt, wie die Veröffentlichungen und Arbeitsergebnisse von Wildwasser und anderen Beratungsstellen auch vielen von uns langsam die Augen über die Dimensionen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern geöffnet haben. Lange Zeit hatten wir in der Schwulenbewegung von „einvernehmlichen“ und „gleichberechtigten“ pädophilen Beziehungen gefaselt und über die strukturelle Asymetrie hinwegschwadroniert. Mißbrauch betrifft nicht allein Mädchen. Erste Veröffentlichungen u.a. von Glöer und Schmiedeskamp-Böhler zu „Jungen als Opfer sexueller Gewalt“ haben eindringlich gezeigt, daß auch sexuelle Handlungen ohne Gewaltanwendungen zu tiefgreifenden Traumatisierungen führen können.“

Ich hatte maßgeblich dafür gesorgt, dass Die Grünen einen Schnitt zu propädophilen Positionen gemacht haben und auch in der Schwulenbewegung dafür gekämpft, dass diese Positionen an Bedeutung verloren. Mein Erkenntnisprozess in dieser Zeit war nicht frei von Widersprüchen und es war insbesondere in der Schwulenbewegung ein komplizierter Prozess.“

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Abzug des Typoskrips als PDF

verfälschter Beitrag im Buch als PDF

20. September 2013

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