Predigt über Offenbarung 12: 7 – 12

Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen. Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unsers Gottes geworden und die Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod.  Darum freuet euch, ihr Himmel und die darin wohnen! Weh denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat. In seiner verrätselten Bildersprache, in seiner apokalyptischen Vision, in seiner Auseinandersetzung zwischen Michael und seinen Engeln & dem Drachen und seinen Engeln, ist dieser Text eine echte Herausforderung für Menschen unserer Zeit.

Ich bin nicht sicher, ob ich den Text ganz verstehe. Da ist auf der einen Seite Michael, der Erzengel, das Gute und seine Engel, eine Seinsweise der Botschaft Gottes, Gottes Gedanken die zum Menschen kommen.  Michaels Name bedeutet: „Wer ist wie Gott?“ Damit  ist das Wesen der Engel erkennbar: Ihre ganze Existenz ist eine lebendige, unaufhörliche, fröhliche Verherrlichung Gottes. „Wer ist wie Gott?“

img_5430

Volker Beck bei der Predigt.

Das Wesen des Erzengels Satan lautet: „Ich bin wie Gott!“ Seine Engel sagen: Ich bin Herr über Leben und Tod. Ich entscheide über Wert und Lebensrecht und Rechte anderer. Eine Stimme, die gerade jetzt in unserem Land wieder lauter wird. Das Wesen der bösen Engel kommt zum Ausdruck im Namen Satans. Das hebräische Wort heißt: der Ankläger, der Widersacher, der Feind Gottes.

Diese Auseinandersetzung ist Teil einer Narration von der Apokalyptischen Frau, mit der Sonne bekleidet, den Mond zu ihren Füßen, schwanger, die ihren Sohn gebiert in großer Qual. Von den Exegeten gedeutet als Israel, die christliche Kirche oder Maria. Verfolgt vom Drachen, wird sie mit Flügeln eines Adlers ausgerüstet, dass sie in die Wüste fliegen kann und geschützt ist vor den Angriffen des Drachens. Ein Aspekt der Hoffnung, des Schutzes für das Leben, die Würde der Existenz.

„Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“ Dies erinnert uns an die Grauen vergangener Zeiten und unserer Zeit: Ruanda, Srebrenica, Syrien – Auschwitz. Länder, Orte, die von diesem großen Zorn zeugen. Des Wütens der Abwesenheit von Gott, der Herrschaft des Bösen. Der Text enthält in seiner apokalyptischen Rhetorik auch Hoffnung. Nicht nur die Rettung des apokalyptischen Weibes ist eine Verheißung, dass das Böse das Gute nicht überwindet, sondern auch die Aussage: Dass der Drache, das Böse„ weiß, daß er wenig Zeit hat.“ Das ist ein Hinweis auf die beschränkte Reichweite des Bösen. Erscheint es noch so übermächtig. Es soll nicht Bestand haben, seine Zeit, seine Macht, seine Herrschaft, scheint sie uns noch so überwältigend, ist begrenzt.

Während ich diesen Text las und mit ihm rang, musste ich immer wieder an ein Buch denken, dass ich diese Woche vorstellen durfte. Das Buch von Jehuda Bacon & Manfred Lütz, der ihn befragte: „Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden.“Jehuda Bacon ist ein israelischer Künstler, ein Holocaustüberlebender, er hat Theresienstadt durchlitten, die Hölle von Auschwitz und die Todesmärsche zum KZ Mauthausen und KZ Gunskirchen überlebt. Seine Bilder hängen in vielen Museen dieser Welt und auch in Yad Vashem.

Er war Zeuge im Eichmann-Prozess, im Frankfurter Auschwitzprozess und im  Prozess gegen den Holocaustleugner David Irving (für die Existenz der Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.) Ein Mensch, der auch inmitten der Shoa, der Herrschaft des Drachens, seinen Glauben nicht verloren hat, auch nicht den Glauben an den Menschen, auch nicht angesichts der verbrecherischsten SS-Leute. Bacon ist kein Theologe, kein Exeget. Er hat angesichts des auf die Erde geworfenen Satans und seiner Herrschaft seinen Glauben, seinen menschlichen Blick, bewahrt.

Er berichtet von einem SS-Mann in Auschwitz,der viele Menschen totgeschlagen hat oder fast totgeschlagen hat. Eines Tages suchte er 10 Häftlinge aus. Alle waren voller Angst. Was wird wohl jetzt passieren? Er führt sie in einen Raum mit einem Tisch, da liegt eine Salami, er schneidet sie in 10 Stücke, gibt jedem ein Stück und sagt: „Haut ab!“

Jehuda Bacon sagt dazu:„In jedem Menschen ist dieser göttlicher Funke, auch in einem solchen Verbrecher: Plötzlich ist er dagewesen!“ Im Frankfurter Auschwitzprozess gibt Bacon Zeugnis von den Verbrechen des SS-Mannes und von der Geschichte mit der Salami. Dieser SS-Mann bekannte sich als einziger in dem Prozess schuldig. Selbst einem Mengele wünscht er nicht die Todessstrafe an den Hals, sondern dass er seine Lebensgeschichte  aufschreiben muss. Diese Auseinandersetzung wäre ihm Sühne genug.

Befragt nach Hitler, sagt er: „Wer bin ich, dass ich … Das war ein Ungeheuer…“ Gefragt nach dem göttlichen Funken, der in jedem Menschen stecke, erzählt er die Geschichte, dass Hitler im 1. Weltkrieg einen jüdischen Kriegskameraden hatte, der ihm in einem Brief um Hilfe für die Ausreise bat. Und Hitler ihm mit einem Brief zur Ausreise verhalf. Jehuda Bacon sagt dazu: „Sehen Sie, da ist auch etwas von dem Funken geblieben.“

Es stockt einem der Atem – Vor dieser Größe, vor dieser Menschlichkeit, vor dieser Sicht auf die größten Verbrecher. Der Hass auf sie, wäre für Jehuda Bacon ein Sieg der Nazis gewesen. Über die Verbrecher sagt er:„Der Böse ist nicht nur einfach böse, sondern er ist jemand, der sich von Gott entfernt, und diese Entfernung geht ins Nichts.“ Und das ist immer eine Wahl. Er nimmt bei dem Blick auf das Elend einen transzendenten Standpunkt ein, der sehr  konkret wird in seinem Leben. Mit Martin Buber sagt er:„Existenz hat nur das Gute und das Gute ist der Weg in die Nähe Gottes.“

Eine Wirklichkeit, die Bacon für sich auch in der Hölle von Auschwitz beanspruchte: „Ich wusste, man kann mich zu Asche machen. Aber ich wusste auch, dass es etwas in mir gibt, das nicht sterben kann, es gibt etwas Überzeitliches, Zeitloses, Geistiges, etwas Göttliches, das man nicht vernichten kann.“

Er entwickelt dies aus dem ersten und dem 73. Psalm. Im 73. Psalm  hadert der Beter mit dem Erfolg und der Macht der Gottlosen und  er besinnt sich am Ende trotz allem auf die Nähe zu Gott. Dort heißt es:

„Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott,
allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Aber das ist meine Freude,
daß ich mich zu Gott halte und
meine Zuversicht setzte auf den Herrn,
daß ich verkündige all dein Tun.“

Das Thema der Zuversicht, das wir gerade beim betenden Singen des 91.  Psalm als Hoffnung bekräftigt haben. Bacon sagt: „Die Nähe Gottes, diese Erfahrung, ist das Höchste, was ein Mensch erreichen kann.“ Und er wirft jeden Menschen auf seine Verantwortung zurück. Denn der Funke ist in uns allen. Und das andere auch.

Aber wie schafft man es denn die Herrschaft des Drachens zu brechen? Wie kann man im Angesicht der Engel des Satans, der Ungerechtigkeit, der Brutalität des Krieges nicht verbittern, den Nächsten, den Feind lieben? Bacon sagt: „Wenn wir ganz tief gehen, dann sehen wir, dass der andere so ist wie ich selbst. Und nur deswegen ist der berühmte Satz möglich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Wie soll ich denn den anderen, den ich gar nicht so kenne, wie er ist lieben? Das ist doch eigentlich unmöglich! Aber die meisten zitieren nur diesen halben Satz und so kann man es nicht richtig verstehen. Der ganze Satz klingt anders: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, denn ich bin Gott!

Das heißt nur, wenn man dieses Dreieck glaubt, da ist der Gott, der mich erschuf und der auch den anderen erschuf, dann haben wir eine Gemeinsamkeit, denn dann kann ich den  anderen lieben, dann kann ich den anderen verstehen, weil er ein Geschöpf ist so wie ich.

Ich bin Gott, das bedeutet eigentlich, Ich bin die Spitze, die eigentlich den Sinn ergibt und die Möglichkeit, dem anderen irgendwie in Liebe und tiefen Verständnis zu begegnen. Wenn ich den anderen dann so wie mich selbst erlebe, dann ist das ein Moment der Gnade und in diesem Moment kann ich auch das Einmalige in dem, den ich liebe sehen. Und das wirkt Wunder.“

Ich will nicht den Juden Jehuda Bacon für die eschatologische, christliche Botschaft der Offenbarung des Johannes vereinnahmen. Ich möchte nur die Botschaft der Begrenztheit der Herrschaft des Bösen, des Drachens, illustrieren, dass der Drache – „dass er wenig Zeit hat“, am Glaubenszeugnis des Jehuda Bacon.

Das Wort seines Zeugnisses ist die Bestätigung der Worte des Juden Jesus: „Du sollst lieben Gott, deinen HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte.“ Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“  In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Diese 2 jüdischen Gesetze sind der Kern des Christentums. Das Wort ihres Zeugnisses überwindet den Satan sagt der Offenbarer.

Zwischen Michael und seinen Engeln und Satan und seinen Botschaften können wir jeden Tag,  jede Stunde neu entscheiden. Angesichts der Ideologen der Ungleichwertigkeit, denen wir mit Michael und seinen Engeln die Botschaft der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen, gleich an Würde und Rechten geboren, entgegenhalten.

Und wir dürfen darauf vertrauen, dass die Fluten des Drachens von der Erde verschlungen werden.

„Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden.“

Wir sind hier auf Erden verantwortlich. Wir entscheiden, welche Engel wir beherbergen, und  ob wir mit dafür sorgen, dass der Drache wenig Zeit hat  und wenig Macht. Und wenn wir da dabei sind, dürfen wir auch sagen: „Darum freuet euch, ihr Himmel und die darin wohnen!“

img_8062

Die St. Marienkirche am Alexanderplatz.


  • Ingeborg Hubert says:

    Der Text hat mich – auch als pensionierte Religionslehrerin – sehr berührt. Ich bin dankbar, dass wir mit Volker Beck in der ersten Reihe unserer Grünen Politiker nicht nur einen kritischen Denker haben, sondern auch einen theologisch geschulten und christlich geprägten Menschen. Danke für diese Predigt.


  • Impressum