Jüdische Migrant*innen: Für die Rente nicht deutsch genug?

Die Bundesregierung hat die Kleine Anfrage der Grünen zur strukturellen Altersarmut bei jüdischen Einwanderinnen und Einwanderern aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion beantwortet. Die Kleine Anfrage finden Sie am Ende des Textes zum Download.

Dazu erklärt Sergey Lagodinsky, Mitglied der Repräsentanz der jüdischen Gemeinde zu Berlin:
„Es gibt eine Ungleichbehandlung zwischen den älteren Zuwanderern aus Osteuropa je nach ihrer Herkunft und Religion. Dies ist nicht hinnehmbar. Es muss geklärt werden, ob es einen sachlichen Grund dafür geben kann, dass die wenigen jüdischen Senioren und Holocaustüberlebende schlechter gestellt werden als ihre Arbeitskollegen aus der Sowjetunion „deutscher“ Herkunft. Und die Zugehörigkeit zu einer anderen Religionsgemeinschaft ein solcher sachlicher Grund sein kann. Mit anderen Worten (und das ist die Quintessenz dieser Anfrage): Ist das Jüdischsein ein sachlicher Grund für die Altersarmut?“

Dazu erklärt Volker Beck, innen- und religionspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion:
„Diese Argumentation, warum jüdische Migranten nicht deutsch genug für eine Rente nach Fremdrentengesetz sind, lässt mich ratlos zurück. Da sind zwei Menschen vom gleichen Alter, gleicher Lebensarbeitsleistung und ungefähr gleichviel Bezug zum sogenannten Deutschtum, der eine ist aber als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen und der andere als jüdischer Kontingentflüchtling. Der eine bekommt heute eine Rente, weil er als Spätaussiedler dem „deutschen Kulturkreis“ zugerechnet wird, der andere muss von Grundsicherung im Alter leben, weil er Jude ist, als Kontingentflüchtling nach Deutschland kam und seine Arbeitsleistung im Herkunftsland rentenrechtlich deshalb nichts zählt. Das ist nur schwer nachvollziehbar.

Es ärgert mich, dass die Bundesregierung in dem Zusammenhang immer auf den Entschädigungszahlungen herumreitet. Die historische Verantwortung Deutschlands für die Juden endet ja nicht bei den Entschädigungszahlungen für Shoa-Überlebende, sondern die Aufnahme geschah ja auch, weil die Flüchtlinge sich in Russland Antisemitismus ausgesetzt sahen. Es geht hier ja nur darum, dass bei Spätaussiedlern und jüdischen Kontingentflüchtlingen gleiche Lebensleistung zum gleichen Rentenanspruch führen soll.

Der Begriff der „Deutschstämmigkeit“ als Ausschlussgrund für jüdische Kontingentflüchtlinge gegenüber nichtjüdischen Spätaussiedlern irritiert bei näherer Betrachtung: Woher kamen die Vorfahren der Spätaussiedler und die Juden des Zarenreiches denn nach Russland und in die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in aller Regel? Zu unterschiedlichen Zeiten, aber vor einigen Jahrhunderte, kamen beide Gruppen ursprünglich aus dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation (bei den Juden zum Teil mit Zwischenaufenthalten in Polen). Die Juden sprachen einen mittelhochdeutschen Dialekt, das Jiddisch, und hatten häufig deutsch klingende Namen.

Für Spanien und Portugal gelten die Nachfahren der Juden, die im 15. Jahrhundert aus diesen Ländern vertrieben wurden, heute wieder als Spanier und Portugiesen. Und wir wollen ernsthaft Juden von gleichen rentenrechtlichen Regelungen wegen mangelnder „Deutschstämmigkeit“ ausschließen? Darüber sollte man wohl noch einmal gründlich neu nachdenken.“

Dazu ein Bericht im TAGESSPIEGEL
www.tagesspiegel.de/politik/umstrittene-regelung-im-rentenrecht-juedischen-zuwanderern-droht-altersarmut/12737190.html
und der JÜDISCHEN ALLGEMEINE www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/24014

Hier finden Sie die Antwort auf die Kleine Anfrage als PDF zum Download:

pdf icon KA-Altersarmut-Volker-Beck.pdf


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