Drei namentliche Abstimmungen für ein modernes Aufenthaltsrecht

Gestern wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Bundestag beraten.

Volker Beck, innenpolitischer Sprecher erklärt:

Die Koalition hat die Chance verpasst, die haarsträubenden Mängel ihres Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung zu beseitigen und das Aufenthaltsrecht zukunftsweisend, integrationsfreundlich und menschenrechtskonform auszugestalten.

Die überfällige Bleiberechtsregelung wurde von der SPD teuer erkauft. Auf der Negativseite stehen: allerlei Haft, viele Grundrechtseingriffe und mögliche Rückschritte für Geduldete in der Ausbildung. Ungeheuerlich ist der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und zur Aufenthaltsbeendigung in drei Punkten, zu denen wir namentliche Abstimmung beantragt haben.

Wir wollen, dass Geduldete in der Berufsausbildung eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Das will auch der Bundesrat, dessen Vorschlag wir wortgleich als Änderungsantrag eingebracht haben. Nur eine Aufenthaltserlaubnis gibt Auszubildenden und ausbildenden Betrieben die Sicherheit, dass die Ausbildung in Deutschland abgeschlossen werden kann. Das fordern die Industrie- und Handelskammern und das Handwerk und das entspricht dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 18. Juni 2015. Die Koalition hat stattdessen ins Gesetz geschrieben, was schon geltendes Recht ist: Wer in Ausbildung ist, kann eine Duldung bekommen. Die Behörden sollen aber Spielraum bei ihrer Entscheidung behalten. Das ist keine Rechtssicherheit, sondern arbeitsmarktpolitischer Irrsinn.

Wir wollen, dass Ehepaare in Deutschland zusammenleben können, auch wenn sie vor der Einreise keine Deutschkenntnisse haben. Deutsch lernt man am besten in Deutschland. Schon heute müssen viele Ehegatten vor der Einreise keine Deutschkenntnisse nachweisen. So haben es Gerichte zuletzt in Bezug auf Ehegatten türkischer Staatsangehöriger entschieden. Die grüne Bundestagsfraktion hat die sofortige Abschaffung des Deutschnachweises im Visumverfahren beantragt. Die Koalition hat sich hingegen trotz aller Lippenbekenntnisse der SPD zu einer familienfreundlichen Politik eine Härteklausel aus den Fingern gesaugt, die den Wirrwarr der bestehenden Ausnahmen vom Deutschnachweis noch weiter verwirrt. Das schafft unnötige Bürokratie. Die grüne Bundestagsfraktion beantragt die sofortige Abschaffung des Deutschnachweises im Visumsverfahren. Doch die Forderung nach einer vollständigen Abschaffung des Deutschnachweises im Visumverfahren geht weiter: Wir haben einen weiteren Gesetzentwurf eingebracht, der gestern zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen wurde. Darin fordern wir auch die Beseitigung weiterer Eingriffe in den Schutz von Ehe und Familie im Aufenthaltsrecht. Der verfassungsrechtlich verbürgte Schutz von Ehe und Familie bezweckt nicht die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, sondern die Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften, unabhängig von der Staatsangehörigkeit derjenigen, die sie bilden – ob es der Union passt oder nicht.

Wir lehnen den sog. Ausreisegewahrsam ab, der ohne Haftgrund angeordnet werden kann. Eine grundlose Freiheitsentziehung ist mit dem Grundgesetz und den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Mit der Freiheit der Person darf man nicht leichtfertig umgehen, nur weil es der Verwaltung die Durchführung von Abschiebungen erleichtert. Eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung der Haftanordnung wird in der Praxis oftmals nicht zu erreichen sein. So wird das verfassungsrechtliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes ausgehebelt. Die Koalition hat jedoch für diese Regelung gestimmt und wird sich dafür über kurz oder lang vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof verantworten müssen.

Der Gesetzentwurf bleibt auch in weiteren Punkten ein menschenrechtliches Desaster, das die Koalition hätte beheben können. Die Abschiebungshaft wird völlig überzogenen Regelungen unterworfen, deren Unbestimmtheit jedem Verfassungsfreund die Haare zu Berge stehen lassen. Informationelle Selbstbestimmung und Schutz der Privatsphäre werden faktisch außer Kraft gesetzt, wenn es der Abschiebung dient. Im Ausweisungsrecht werden Familienangehörige von Deutschen und im Inland geborene Kinder schlechter gestellt als türkische Staatsangehörige.

Bei den Integrationskursen schafft die Koalition immer noch keinen Teilnahmeanspruch für Asylsuchende, Geduldete und Unionsbürger*innen. Die prekäre finanzielle Lage, in der sich viele Lehrkräfte in den Integrationskursen befinden, wird nicht einmal erkannt. Zur zukunftsweisenden Ausgestaltung der Integrationskurse haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, den die Koalition jedoch ebenfalls abgelehnt hat.

Mit ihrer starren Haltung hat die Koalition in der Migrationspolitik nun eine große Chance verspielt.


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