Laudatio auf Avi Primor

FullSizeRender Kopie+++ ES GILT DAS GESPROCHENE WORT +++

Sehr geehrter Herr Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Herr Dr. Kamp,
Sehr geehrter Herr General-Mayor Baidatz,
Sehr geehrter Herr General a.D. Lahl,
Sehr geehrte Vertreter der israelischen Botschaft, Shalom lieber Yair,
Begrüßen möchte ich auch den neuen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, lieber Herr Königshaus, auf diesem Weg nochmal herzliche Glückwünsche zur Wahl,
Liebe Deidre Berger,
Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Daniel Primor, dass Sie heute gekommen sind, um den Preis für Ihren Vater entgegen zu nehmen!

Mir fällt heute die große Ehre zu, als Laudator einen Mann zu würdigen, der vermutlich wie kein anderer seit den 90er Jahren der israelischen Politik in Deutschland ein Gesicht und eine Stimme gegeben hat.

Mit dem „Karl-Carstens-Preis“ werden Menschen ausgezeichnet, „die sich um die Vermittlung des umfassenden Sicherheitsbegriffs und um die Vermittlung von sicherheitspolitischen Zusammenhängen verdient gemacht haben.“
Meine Damen und Herren, Avi Primor ist genauso ein Mensch.

Avi Primor, das ist weder ein Falke noch ein Peacenik, auch wenn die jeweilige Seite in manchmal bösartig in das gegenüberstehende politische Lager stecken möchte. Doch damit tut man diesem klugen Kopf unrecht. Die Tatsache, dass er keines von beiden ist, macht ihn zu diesem klugen und strategischen Diplomaten.

Lieber Herr Primor, ich glaube, ich spreche für alle im Saal, wenn ich sage, dass wir mit Bewunderung und größtem Respekt auf das Lebenswerk Ihres Vaters blicken. Bitte richten Sie Herrn Primor unsere besten Genesungswünsche aus.

Meine Damen und Herren, wer sich in Deutschland nur halbwegs für Politik interessiert, die oder der kommt an Avi Primor nicht vorbei. Das ist für einen ehemaligen Botschafter eines Landes von der Größe von Hessen keine Selbstverständlichkeit.

Ich weiß garnicht, wann ich genau Avi Primor in den 90er Jahren kennenlernte. Als israelischer Botschafter war er damals rückblickend gefühlt auf Dauersendung:
Avi Primor im Morgenmagazin,
Avi Primor im Deutschlandfunk,
Avi Primor in der Zeitung.

Er verstand es, die Gefühls- und Stimmungslagen in der israelischen Bevölkerung für die Deutschen zu übersetzen und Israel als jüdischen und demokratischen Staat in seiner Politik zu verteidigen. In Israel ging damals gerade die Erste Intifada zu Ende und wir hatten alle große Hoffnung in den Oslo-Friedensprozess gesteckt, der vor 20 Jahren durch die Kugeln eines jüdischen Extremisten auf Jitzhak Rabbin sein blutiges Ende fand.

In dieser Zeit sind auch wir uns irgendwann über den Weg gelaufen. Bonn als provinzielle Hauptstadt, die auch Avi Primor gerne „Bundesdorf“ mit der Eigenschaft „putzig“ nennt, war klein und wir uns politisch nahe. Dass sich unsere Wege kreuzen würden war nicht zu vermeiden. Ich weiß nicht mehr genau wann und wo, aber es muss irgendwann 1994 gewesen sein, nachdem ich als junger neuer Bundestagsabgeordneter die sogenannten „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus auf die politische Agenda setzte.

Seitdem ist viel Zeit vergangen und ich möchte es kaum glauben, dass Avi Primor in diesem Jahr bereits seinen 80. Geburtstag feierte. Wenn wir seine Gastbeiträge in der Süddeutschen Zeitung lesen oder ihm in Gesprächen begegnen, wünsche ich mir manchmal, so mancher deutscher Politik hätte mit 40 nur halb so frische Gedanken, Ideen und den Mut wie Avi Primor.

Geboren wurde Avi Primor als AVRAHAM-AHARON HALPERN 1935 in Tel Aviv, als, wie er selbst von sich sagt: „Jude Palästinas“. In diesem Jahr wurden in Deutschland die Nürnberger Rassegesetze verabschiedet, womit die Verrechtlichung der Entrechtung der Jüdinnen und Juden begann. Verfolgung, Deportation und Mord waren die Folgen.

Primors Mutter emigrierte bereits 1932 von Frankfurt nach Palästina und konnte so der Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden entgehen. Dass Primor und seine Eltern überlebten, ist auch ein Grund der zionistischen Bewegung dankbar zu sein, wie Avi Primor in seiner Autobiografie „Nichts ist jemals vollendet“ schreibt. Dank der zionistischen Bewegung hat er nie zu spüren bekommen, was es bedeutet, Angehöriger einer Minderheit zu sein.

Zu dieser Überlebensgeschichte in Palästina gehört aber auch, dass die gesamte Familie seiner Mutter, die in Deutschland blieb, den nationalsozialistischen Terror nicht überlebte.

Aus der Shoa erwächst deshalb für uns eine Verpflichtung, die über den, oft leichthin verwendeten Ausspruch „Nie Wieder“-hinauswächst. Das wir das nicht als Schuld verstehen, die wir durch „Wiedergutmachtung“ „sukzessive abbauen“, wie mir diese Woche ein ranghoher Beamter des Bundesministeriums für Finanzen sagte, sondern als Verantwortung für unser politisches Handeln sehen, dafür steht Avi Primor als ein Partner und Freund.

Und in diesem „Nie Wieder“ spiegelt sich auch die ganze sicherheitspolitische Ambivalenz zwischen Israelis und Deutschen wieder. Während die Deutschen darin ein „Nie wieder Krieg“ sehen, steht es in Israel für „Nie Wieder Opfer“. Das haben soziologisch-vergleichende Studien, beispielsweise von der Bertelsmann-Stiftung, in diesem Jahr deutlich gemacht.

Verstehen Sie mich nicht falsch, beide Interpretationen haben in ihren Gesellschaften ihre Berechtigung.

Dass es in der deutschen Gesellschaft eine Haltung hin zum „Nie wieder Krieg“ überwiegt, ist nach 100 Jahren Säbelrasseln und zwei verlorenen Weltkriegen und den schrecklichen Verbrechen im Nationalsozialismus zunächst keine falsche Grundhaltung, wenn auch manchmal in seiner Erscheinungsform etwas unterkomplex.

Und dass es in der israelischen Gesellschaft ein klares „Nie wieder Opfer“ gibt, dafür können wir nur unsere Solidarität ausdrücken und einen deutschen Beitrag zur Sicherheit Israels leisten.
Avi Primor hat es immer geschafft, diese zwei Postulate zusammen zu bringen. Und es ist ihm selbst dann gelungen, die Regungen und Bewegungen in der israelischen Gesellschaft und Politik glaubhaft zu vermitteln, wenn er diese nicht geteilt hat.

Primor hat hier einen richtigen Punkt: „Man muss einander zuhören, um die Argumente des anderen kennenzulernen, auch wenn man sie selbst für falsch hält.“ In Deutschland sind wir gut darin, die Sicherheitsängste der Israelis nicht ernst zu nehmen oder nicht verstehen zu wollen. Unabhängig davon müssen wir aber akzeptieren, dass sie bestehen. Avi Primor hat recht damit, wenn er feststellt, dass wenn Israel eines Tages bereit sein soll, die Besatzung der Westbank zu beenden, müssen wir ihnen auch ein Sicherheitsangebot machen, mit einem robusten internationalem Mandat, dass die Sicherheit Israels garantiert.

Er ist ein klarer Analytiker und Realist, wenn er seiner Regierung empfiehlt, ob sie es mag oder nicht, den Iran-Deal als Realität zu akzeptieren oder den Europäern empfiehlt, dass israelische Sicherheitsbedürfnis, ob man es nun für überdreht oder realistisch hält, als Faktor in einem Faktor in einem Friedensprozess zu akzeptieren.

Die Raketen aus Gaza haben nach dem einseitigen Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen 2005 in der israelischen Bevölkerung eine Angst erzeugt, die wir ernst nehmen müssen. Andernfalls wird die IDF niemals die Westbank räumen und die Palästinenser haben auch einen Anspruch darauf, ohne israelische Soldaten in einem künftigen Staat Palästina leben zu können.
Wenn wir das ernst meinen, müssen wir Israel ein Sicherheitsangebot machen, dass sie nicht ablehnen können.

Im 50. Jahr der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik verkörpert Avi Primor einen Meilenstein des deutsch-israelischen Dialogs.

Und dies wäre auch nur die halbe Wahrheit, wenn man behaupten würde, das sei für Primor selbstverständlich gewesen. 1965, so schreibt er selbst, war er noch sehr skeptisch und in den Jahren davor an Demonstrationen, wie beispielsweise gegen das Wiedergutmachungsabkommen, beteiligt. Das Misstrauen und die Vorurteile mussten bei vielen erstmal abgebaut werden, bevor Freundschaften entstehen konnten. Und wenn wir ehrlich sind, sind da die Israelis heute deutlich weiter als die Deutschen, die ein zunehmendes Unbehagen gegenüber dem jüdischen Staat und seinen Bewöhnern wähnen.

Avi Primor wuchs unter der britischen Kolonialherrschaft in Palästina auf, in einer Zeit der Unruhen, Zusammenstöße und jüdischer Untergrundorganisationen, die sie als Kinder ideologisierten. In seiner Biographie schreibt Avi Primor über das Kriegsende 1945 und das Ringen um einen unabhängigen Staat in der UN-Vollversammlung 1947, dass sie „eine politisierte Kindergeneration [waren], mit einer Leidenschaft für Politik“. Diese Leidenschaft brachte letztlich Avi Primor auch in den diplomatischen Dienst, denn auch dieser ist für ihn eine Art Verteidigung seines Staates.

So erinnert er daran, wie auf den Unabhängigkeitskrieg nach der Staatsgründung Israels 1948 zwar Waffenstillstandsabkommen mit den arabischen Nachbarn geschlossen wurde. Diese seien jedoch nur /ICH ZITIERE/ „technische Arrangements, die nötig waren, um die nächste Runde des Krieges vorzubereiten. In der Zwischenzeit wurde Israel von seinen Nachbarn belagert, die auch die Wirtschaft boykottierten. Zu diesem Boykott gehörte auch […] Israel nicht anzuerkennen und keine diplomatischen Beziehungen aufzubauen. Diese diplomatische Belagerung war für Israel genauso gefährlich wie die militärische und die wirtschaftliche.“ /ZITAT ENDE/

Deshalb war die Diplomatie für Avi Primor schon als junge Mensch kein Beruf, „in dem man die Welt bereisen kann und seine Zeit bei Cocktailpartys verbringt“. Für ihn war es der Versuch, „das Überleben Israels zu garantieren“.

Dieser Erkenntnis folgend setzte sich Avi Primor 1961 gegen 240 Bewerber durch und begann seine Laufbahn im Auswärtigen Dienst des Staates Israel. Seine Laufbahn mit all ihren schönen, skurrilen und auch witzigen Anekdoten jetzt auszuführen, würde die Veranstaltung sprengen.

Shimon Peres haben wir es letztlich zu verdanken, dass Avi Primor im November 1993 seinen Dienst als Botschafter des Staates Israel in Bonn antrat. Und wie ich bereits sagte, war er damals fast omnipräsent.

Er verstand es, dem deutschen Publikum die Lage der Israelis mit Sympathie und Ehrlichkeit zu vermitteln. Israel als einem Staat, der in einer Region existiert, von Feinden umgeben.

Viel zu oft vergessen wir, wenn wir an Israel unsere europäischen Maßstäbe anlegen, dass Israel als jüdisch-demokratischer Staat zweifelsohne eine Demokratie ist, aber in einer Umwelt lebt, in der fast ausschließlich befeindete Nachbaren leben. Von Avi Primor habe ich gelernt auch mal die Situation in Israel auf Deutschland zu übertragen.

Bei aller Kritik an israelischer Innenpolitik, die auch ich habe, beispielsweise beim geplanten NGO-Gesetz, sollten wir immer betrachten, wie viele Bürgerrechtseinschränkungen in Deutschland wohl im Eilverfahren durch den Bundestag gejagt würden, gäbe es Bombenanschläge auf die Berliner U-Bahn oder auf jetzt besuchte Weihnachtsmärkte.

Als Kölner Abgeordneter weiß ich, wie sehr eine Stadt im Schock sein kann, nachdem es vor wenigen Wochen eine Messerattacke auf unsere heutige Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, gab.

Ich schätze Avi Primor auch deshalb so sehr, weil er immer einen eigenen und kritischen Kopf behalten hat. Klug und mit Mut kritisiert er heute auch seine eigene Regierung und es zeugt von der demokratischen Verfasstheit Israels, dass Avi Primor und viele andere genau das dürfen, auch wenn es manche schmerzen mag. Zugegeben, die gegenwärtige Regierung in Jerusalem hätte ich ebenfalls nicht gewählt. Ich muss aber bekennen, dass ich unsere Bundesregierung auch nicht gewählt habe.

Avi Primors Einsatz für Verständigung, Aussöhnung und Freundschaft setzte er nach seiner diplomatischen Laufbahn fort. Denn er ist überzeugt davon, dass ein demokratischer und jüdischer Staat nur auf Dauer als solcher existieren kann, wenn man eine Friedensregelung mit seinen Nachbarn schafft. Dem kann ich nur beipflichten.

Nach seiner Rückkehr nach Israel wurde Avi Primor zunächst Vizepräsident der Universität Tel Aviv. Er ist eben nicht nur Diplomat, sondern auch ein Intellektueller.

Nach kurzem Aufenthalt dort wechselte er zur Privatuniversität der Stadt Herzlyia, um ein Zentrum für europäische Studien aufzubauen. Dort konnte er seine lange gehegte Idee endlich in die Tat umsetzen, israelische Studenten für eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union auszubilden.

Aus einem Treffen mit dem Präsidenten der al-Quds-Universität entstand dann die Idee, diese Ausbildung gemeinsam zu machen. Denn die Palästinenser benötigen ebenso, wie die Israelis, gut ausgebildete Leute und zudem dient es der Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern.

In der Hoffnung, dass der Plan ohnehin scheitern würde, nahmen, wie Avi Primor sagt, irgendwann die Widerstände gegen das Projekt ab. Doch es wäre nicht Avi Primor, wenn er sich von Widerständen und Hürden bei einer Idee abbringen liese. Nach einem Treffen mit den jordanischen Prinzen wurde daraus letztlich ein trilateraler Studiengang zu Europäischen Studien. So schaffte er es, nicht nur eine Brücke zwischen Israel und EU zu schlagen, sondern auch noch mit den Palästinensern und Jordaniern. Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren, beginnt genau hier, wenn wir Räume zum Dialog und der Begegnung schaffen.

Um die Studierenden auch räumlich zusammen zu bringen, erklärte sich letztlich die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf bereit, dass Israelis, Jordanier und Palästinenser bei ihnen gemeinsam für ein ganzes Jahr studieren und sich kennenlernen können. Und so ist es noch heute.
Avi Primor, das ist nicht nur ein großer Diplomat, Intellektueller und Brückenbauer, er ist auch ein Macher, der sich nicht fürchtet, die Dinge groß zu denken. Von diesem Format, meine Damen und Herren, gibt es nur wenige Menschen. Deshalb hat Avi Primor den „Karl-Carsten-Preis“ mehr als verdient.

Als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe möchte ich heute sogar fast sagen, dass ich in meiner Sicht auf Israel und den Nahost-Konflikt ein Stück weit durch Avi Primor sozialisiert wurde. Er hat mich gelehrt, sich eine andere Erfahrungswelt hinein zu denken.

Ich verneige mich deshalb vor einem ganz Großen unserer Zeit. Ich freue mich auf die nächsten Begegnungen mit ihm.

Vielen Dank und Toda Raba, Herr Primor, dass Sie heute gekommen sind.


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