Europäische Asylpolitik darf nicht zum Ausverkauf der Flüchtlingsrechte führen

Zu dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) erklärt Volker Beck, Sprecher für Migrationspolitik:

„Die Bundesregierung sollte sich für eine menschenrechtliche Ausgestaltung des europäischen Flüchtlingsrechts einsetzen. Eine gemeinsame europäische Asylpolitik ist dringend erforderlich, nicht aber der Ausverkauf der Rechte von Flüchtlinge, der gerade droht. Hier findet der Sachverständigenrat leider keine klaren Worte.

Richtig und wichtig ist zwar die Forderung des SVR, anerkannten Flüchtlingen Freizügigkeitsrechte zu gewähren. Das ist ein emanzipatorischer Ansatz zur Verhinderung unkontrollierter Sekundärbewegungen. Stattdessen schlägt die EU-Kommission zur Reform der Dublin-Verordnung vor, Sekundärbewegungen stärker zu sanktionieren und z.b. die bestehenden Fristen abzuschaffen, innerhalb derer Asylsuchende in die für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staaten überstellt werden müssen. Das würde dazu führen, dass Asylsuchende, die nicht fristgerecht überstellt werden, auf unabsehbare Zeit dort verbleiben, wo sie gerade sind, ohne Zugang zum Asylverfahren zu haben. Das ist mit dem Grundrecht auf Asyl kaum vereinbar und verschärft die sozialen Probleme vor Ort.

Der SVR verpasst leider die Chance, die Kritik der zuständigen Berichterstatterin im Europäischen Parlament und zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen innerhalb der EU aufzugreifen und sich gegen die Vorschläge der EU-Kommission zur Verschlechterung der Rechtstellung von international Schutzberechtigten auszusprechen. Nach Vorstellung der EU-Kommission soll etwa die Anerkennung von Nachfluchtgründen – etwa die Konversion zum Christentum, ein Coming-Out als Schwuler oder die exilpolitische Betätigung – deutlich beschränkt werden. Das ist menschenrechtlich inakzeptabel. Statt subsidiär Schutzberechtigte endlich vollumfänglich mit GFK-Flüchtlingen gleichzustellen, will die EU-Kommission subsidiär Schutzberechtigte z.b. beim Sozialleistungsbezug wieder schlechter behandeln. Das ist durch keinerlei sachlichen Grund gerechtfertigt und integrationspolitisch verheerend – auch subsidiär Schutzberechtigte bleiben in aller Regel längerfristig innerhalb der EU und sollten so gut es geht sozial eingegliedert werden. Die EU-Kommission will zudem die Verfahren zum Widerruf der Flüchtlingseigenschaft zwingend ausgestalten. Das ist bürokratisch, teuer und überflüssig, da es die nationalen Asylbehörden dazu zwingt, knappe Ressourcen auch dort einzusetzen, wo der fortbestehende Schutzbedarf – etwa bei Syrern – auf der Hand liegt.

Der SVR verkennt, dass eine unionsweite Harmonisierung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, wie sie der EU-Kommission vorschwebt, lediglich eine Harmonisierung nach unten ist: Den Mitgliedstaaten soll die Bestimmung weiterer sicherer Herkunftsstaaten im nationalen Alleingang nach dem Kommissionsvorschlag weiterhin möglich sein. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten höhlt die Rechte von Schutzsuchenden aus und ist mit dem Diskriminierungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention kaum in Einklang zu bringen. Deshalb ist es abzulehnen. Erst recht gilt dies für den Kommissionsvorschlag, der jegliche rechtliche Einhegung des Konzepts vermissen lässt: Nach seiner Systematik droht die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten jeglicher Überprüfung durch nationale oder europäische Gerichte, ob die menschenrechtlichen Anforderungen an die Anwendung des Konzepts, entzogen zu werden. Das ist eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unwürdig und sendet fatale Signale an den Rest der Welt.

Resettlement muss als Instrument des internationalen Flüchtlingsschutzes gestärkt, nicht pervertiert werden. Es muss dem Schutze von Flüchtlingen in besonders prekären Situationen dienen und darf nicht lediglich auf eine geopolitische Maßnahme zur Entlastung der Türkei beschränkt werden. Das hätte der SVR klarer herausarbeiten können. Sicherlich ist dem SVR zuzustimmen, wenn er sichere Einreisewege für Schutzsuchende fordert. Nicht jedes Mittel ist zur Erreichung dieses ehrbaren Ziels recht – die Abschottung Europas durch die Schaffung geschlossener Lager in Transitstaaten und die Ausweitung des Konzepts des sicheren Drittstaats sind da nicht der richtige Weg, da sie die Menschenrechte aushöhlen und damit zur Verschlechterung der menschenrechtlichen Situation weltweit beitragen.

Bei seiner pauschalen Ablehnung des Spurwechsels argumentiert der SVR bestenfalls undifferenziert. Den Spurwechsel, den wir Grünen auch für Asylsuchende und Geduldete fordern, gibt es im deutschen Recht für die allermeisten Inhaber von Aufenthaltstiteln bereits. Er bedeutet lediglich, dass ein Aufenthaltstitel bei Erfüllung seiner Voraussetzungen ohne vorherige Ausreise erteilt werdne kann (vgl. § 39 Nr. 1 AufenthV). Das sollte auch für Asylsuchende und Geduldete gelten. Wer einen Arbeitsplatz hier findet, der nicht nur den Lebensunterhalt sichert, sondern auch den strengen Anforderungen des Arbeitsmigrationsrechts genügt, d.h. in der Regel ein Arbeitsplatz, für den sich kein anderer geeigneter Bewerber findet und der mit dem üblichen Gehalt vergütet wird, soll in Deutschland bleiben können. Das sorgt für weniger Bürokratie und bessere Integration und erleichtert den Arbeitgebern hierzulande die Fachkräfteakquise – eine triple-win-Situation. Der Spurwechsel muss dabei selbstverständlich durch weitere Integrationsmaßnahmen flankiert werden. Statt auf Verbote wie der integrationsfeindlichen Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge sollte auf Angebote gesetzt werden. Asylsuchende sollten von Beginn an Anspruch auf Teilnahme an den Integrationskursen haben. Bei der Vermittlung der Werte unserer Verfassung sollte die Zivilgesellschaft eingebunden und der peer-to-peer-Ansatz gestärkt. Erfolgsversprechende Beispiele dafür gibt es bereits.“

Zu der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hatte Volker Beck kürzlich schriftliche Fragen an die Bundesregierung gerichtet, deren Beantwortung hier abrufbar ist.


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